Heute heißt es Abschied nehmen von Dardhe. Ein wundervoller Ort zum Verweilen. Ruhe, Natur, gutes Essen … aber wir wollen ja noch so viel von Albanien sehen und Anila und Gino in Tepelene warten schon auf uns. Auf die fünf Stunden Fahrt durch die Mali i Melesinit Berge und entlang der Vjosa. freut sich der Rabe schon die ganze Zeit.
Die Königin fragt ein letztes Mal nach der Tankfüllung — das hat sie schon etwa 34,5 Mal getan aber man weiß nie , denkt sie sich. Defekter Tank, Verdunstung, spontane Entleerung … soll’s doch alles schon mal gegeben haben. Der Rabe versichert, dass der Tank zu 95,74638% voll ist und verbittet sich Brennstoffanfragen für die nächsten paar Stunden. (In Albanien gibt es gefühlt alle zwei Kilometer eine Tankstelle. Ok, in den weniger besiedelten Gebieten alle 10 Kilometer.)
Wir kommen schneller voran als geplant. Die Straße nach Erseka wurde weiter ausgebaut. Das weiß nicht einmal GooglëMëps. Wir sind dankbar — so können wir mehr Zeit an den Thermalquellen bei Benjë verbringen. Letztes Jahr waren wir spät dran und konnten kaum eine Stunde die warmen Quellen genießen — dafür aber fast alleine.
In Laskovik biegt der Rabe rechts ab auf die SH75, Richtung Corshovë. Der Weg wird wieder schlecht, steinig und bergig aber die Ausblicke um so schöner. Es sind acht Kilometer weniger aber 15 min. länger 😊. Das Prinzchen liebt solche Strecken.
Gegen 14 Uhr sind wir an der Ura e Kadiut — der osmanischen Brücke über der Lengarica, beim Dorf Bënja. Oder besser gesagt an den herrlichen Thermalquellen vor und hinter ihr. Davon gibt es sechs — in kleineren und größeren, natürlichen Becken und von massiven Felsen auf beiden Seiten des Lengarica-Flusses umgeben. Das Schwefelwasser in ihnen hat sehr hohe Heilwirkungen. Unter anderem für chronisches Rheuma, Arthritis, Magenkrankheiten und in einem für Hautkrankheiten. Dieses Mal nehmen wir uns wirklich Zeit und erkunden und genießen die unterschiedlichen Becken. Wir wälzen und abwechselnd in den kleineren Becken und tauchen in den tieferen ab. Im großen, dem bekanntesten Becken, tummeln sich gut 30 Menschen — das ist uns zu viel. Diesmal laufen wir auch ein Stück hinter die Brücke. Eine Echt malerische Canyon-Landschaft — die Lengarnica Schlucht. Beim nächsten Mal wird sie bewandert — das steht fest. Es sind etwa 6 Kilometer, zum Teil bis zum Bauchnabel durchs Wasser. Und das Dorf Bënja ebenfalls.
Von den Quellen ist es noch etwas eine Stunde nach Tepelene, einer Kleinstadt im Vjosa-Tal, im Süden Albaniens, mit 4300 Einwohnern. Hier wurde Ali Pascha, ein bekannter osmanischer Herrscher, geboren und von hier residierte er lange. Längere Zeit lebte am Hofe Ali Paschas der berühmte englische Dichter — Lord Byron. Bereits im letzten Jahr wurde sein Name eng mit unserem Schicksal verbunden.
Die Eulenkönigin buchte ein Guesthouse das seinen Namen trägt … einzig und allein wegen des … Namens. Das nennt man Hardcore-Spontanität und sollte sich als pures Glück herausstellen. Traumhafte Lage, leckere Küche und herzliche und super sympathische Besitzer. Die Bekanntschaft mit Alina und Gino hat sich seit unserem ersten Besuch hier zu einer kleinen Freundschaft entwickelt.
Endlich im “Lord Byron” angekommen werden wir dementsprechend liebevoll empfangen und begrüßt. Natürlich bekommen wir das schönste Zimmer, ein Traum in Weinrot mit super bequemen, neuen Bett — seit letztem Jahr wurde kräftig investiert. Auch das Restaurant des Hauses wurde umgebaut. Es ist wunderschön geworden — und Gino hat endlich Platz in seiner Küche. Gino kocht jeden Abend was anderes. Eine feste Speisekarte gibt es nicht. War er Angeln — gibt es Fisch, war er jagen — gibt es Wild, war er im Wald gibt es Pilze. Beide gehören in Albanien zu den Gewinnern — es geht ihnen gut, aber sie arbeiten auch hart dafür.
Abendessen gibt es an einem Tisch mitten im Garten, bei Grillenzirpen. Für den Raben ein 500 Gramm Steak vom Feinsten, dazu Rucola mit Tomate und Pradano , Eulchen darf sich ihren Fisch direkt bei Gino in der Küche aussuchen. Es wird eine Dorade mit gegrilltem Gemüse. Anschließend sitzen wir gesellig zusammen beim Wein und werden (wieder einmal) von der albanischen Gastfreundschaft geplättet. Wir haben ein kleines Geschenk anfertigen lassen — einen Wimpel, der Gino zum offiziellen Botschafter der Deutsch-Albanischen Freundschaft kürt.
Anila und Gino haben sich für uns auch etwas einfallen lassen. Wir werden zu einem Tagesausflug eingeladen — zu was für einen phantasitischen, wird uns erst am nächsten Tag bewusst. Abends erfahren wir nur, dass es nach Nivica geht, in ein abgelegenes Dorf, weit oben in den Bergen, mit normalem PKW nicht zu erreichen. Wir freuen uns sehr — mit solch Aufmerksamkeit haben wir niemals gerechnet. Wir sind gerührt.
NIVICA das einzigartige Dorf im Kurveleshgebirge
Nach dem Frühstück herrscht Aufbruchstimmung. Alina hat sich Frei genommen und Gino hat einen Aushilfskellner organisiert. Beide lassen es sich nicht nehmen und werden uns begleiten. Wieder sind wir platt und glücklich gleichzeitig. Alina hat noch am Vorabend ein “Mountain-Taxi” für heute bestellt. Pünktlich fährt Fredy vor. Fredy kutscht täglich 2–3 Mal Menschen und Waren in die abgelegene Bergregion. Das ist sein Brot. In einem 45 Jahre alten E‑Klasse Benz, etwas hochgeschraubt, rattert er mit uns Richtung Bence an der Strafvollzugsanstalt vorbei und biegt, kurz nach Tepelenes Ortsausgang, nach Süden, auf eine schmale Straße die ins Kurvelesh Gebirge führt ab.
Unser erster Halt folgt schon 4 Kilometer danach. Ali Pascha hat vor über 200 Jahren hier ein Aquädukt über dem Fluss Bence bauen lassen. Es war und ist eine herausragende, technische Meisterleistung. Das Bauwerk überstand Kriege, Erdbeben und ein marodes System und lieferte bis vor zehn Jahren noch Wasser für umliegende Felder und das nah gelegene Dorf Bence sowie für Tepelene selbst.
Es geht weiter. Fredy ist gesellig und total gut drauf. Er spricht zwar kein English aber der Rabe hat schon die Namen aller bekannten, deutschen Fußballer mit ihm ausgetauscht — “Schuainsteiger”, Beckenbauer, Rummenige, und über Ronaldo haben wir gelacht. Sein alter Benz hat 380 000 Kilometer auf der Uhr. Wahrscheinlich die zweite Umdrehung. Die Fahrt an sich ist schon ein Highlight. Die Strecke ist eigentlich nur für Offroadfahrzeuge befahrbar. Dass es trotzdem geht, zeigt Fredy bravourös mit seinem Mercedes. Die gleiche Erfahrung machen wir einige Tage später, auf der Fahrt nach Theth, mit unserem Mietsuzuki. Wir haben ein kleines Filmchen dabei gemacht.
In Progonat, dem größten Dorf im Kurvelesh, das in Albanien für seine Wehr- und Standhaftigkeit bekannt ist, machen wir Pause. Ein Raki und ein Kaffee muntern uns auf.
Gegen Mittag erreichen wir endlich Nivica. Anila und Gino haben dort Freunde. Dallandyshe & Pertit leben seit Urzeiten hier. Sie besitzen ein kuscheliges Haus mit Nebengebäuden (man lebt hier von Viehzucht) und ein gepflegtes Grundstück, genau oberhalb des Canyons. Eine mehr als imposante Ansicht. Nivica zählt zu den 100 ausgesuchten Dörfern in Albanien die etwas Unterstützung bei Aufbau des sanften Tourismus bekommen. Dazu wurde extra ein Programm von der Politik ins Leben gerufen. Bisher ist davon wenig zu sehen. Immerhin wurde der Hauptplatz mit seiner Kirche restauriert und gepflastert aber sonst … Noch vor zwei Jahren lag auf dem Dorfplatz der Müll der letzten 30 Jahre.
Die beiden Rentner haben zwei Gästezimmer hergerichtet um möchten sie zukünftig vermieten. Anila hilft ihnen etwas mit ihrer Erfahrung. Weitere Unterstützer haben sie in Tirana — diese kümmern sich um eine Internetseite und um Facebook. Aber dazu später mehr. Wir erfahren, dass wir die zweiten Deutschen hier sind.
Zuerst wird uns die Umgebung des Hauses gezeigt. Es liegt auf dem Berg, genau am Rand der Felswand. Oben links im Bild — ist das nicht hammermäßig?
Das Eulchen kriecht sogar auf allen vieren um mal hinunter zu sehen. Uns stock der Atem. Es ist schwindelerregend hoch und unbeschreiblich schön hier. Im Anschluss wandern wir zur den Ruinen einer 2400 Jahre alten Burg der Illyrer. Viel ist nicht von ihr übrig. Die Steine haben über Jahrhunderte sicher Verwendung beim Hausbau hier und da gefunden. Aber man ahnt, dass sie mal bedeutend war und kaum einnehmbar. Von hier oben blickt man in alle umliegenden Täler und zwar tief hinein. Den Berg auf dem die Burgruine steht umwandern wir in sengender Mittagssonne. Pertit pflückt einige Zweige wilden Oregano. Den bekommt Gino für sein Restaurant. Auf felsigen, schmalen, teils zugewucherten Pfaden, über Felsen, erreichen wir wieder das Dorf.
Dallandyshe hat derweil ein Festmahl zubereitet. Alles aus selbst angebauten und selbst gezüchteten Zutaten. Es ist erstaunlich wie saftig und frisch Tomaten nach Tomaten und Gurken nach Gurken schmecken können. Was unsereins im Laden bekommt erinnert dagegen geschmacklich nicht im Geringsten an diese Früchte. Eine Art Zaziki kommt auf den Tisch, weiße Bohnen, frisches Brot (vor unserer Ankunft gebacken) und angebratene Ziegenleber — ein kulinarischer Hochgenuss. Wir erfahren wie hier oben gelebt wird und versprechen etwas Werbung für die Bujtina mbi canyon zu machen — was wir hiermit einlösen.
Bevor es aber ans Essen geht, leeren wir alle eisgekühltes Bier — wahrscheinlich das Einzige, das hier aus dem Tal kommt, und … of course, wir sind in Albanien 😊 … einen Raki. Den darf man hier nicht ausschlagen. Das käme Majestätsbeleidigung gleich. Nahezu jeder Albaner stellt eigenen Raki her — der MUSS verkostet und gelobt werden. Der hier ist wirklich exquisit. Die Flasche wird am Ende der Mahlzeit leer sein. Um so ausgelassener sind die Männer bei der Rückfahrt. Gino stimmt mehrfach “ein Prosit” an … wir haben Gaudi ohne Ende … und dabei ist es erst 15 Uhr.
Auf der Rückfahrt sammeln wir noch Äpfel von frei stehenden Bäumen, ulken mit Kühen die auf einer Wiese rum grasen und wechseln einen Reifen. Passiert öfter sagt mir Fredy. Die scharfkantigen Steine und Felsen, die den Weg bilden und Säumen, sind nicht ohne. Am späten Nachmittag sind wir wieder zurück. Wir möchten Fredy einen kleinen Dankeschön “Bonus” zukommen lassen — den wir umgehend zurückbekommen — es gehört sich wohl nicht. Wieder etwas über albanischen Stolz und die albanische Gastfreundschaft gelernt.
Nivica werden wir beim nächsten Mal definitiv erneut besuchen und dort auch bei den Merjos verweilen. Es ist unbeschreiblich wie ursprünglich und natürlich das Leben hier stattfindet. Es wäre ein perfekter Ort um z.B. ein Buch zu schreiben.
Abends in Tepelene zaubert Gino dem Raben noch Flusskrebse mit Pasta — Gaumenorgasmus. Das Eulchen isst was Leichtes. Wir lassen gemeinsam den Tag bei Gesprächen ausklingen. Ok, Gino und der Rabe leeren noch eine Flasche Wein, die Mädels schaffen keine ganze😊 Leider ist für uns Morgen die Weiterfahrt angesagt. Wir sind unseren Freunden zutiefst dankbar für diese wunderschönen Erlebnisse — und freuen uns schon aufs nächste Mal. Bye Anila — Bye Gino.
Vor der Abreise, gleich nach dem Frühstück, laufen wir noch “schnell” im Flussbett der Vjosa bis zur berühmten Hängebrücke unterhalb der Festung von, wem??? .… na klar doch .. Ali Pascha 😊 Auch diese “paar” Meter — Anila sprach was von 20 min, es werden 40 — laufen wir in der Mittagsglut. Der Rabe ist kurz vorm hitze bedingten Komplett-System-Versagen. Aber es lohnt sich — die Brücke ist ein Muss für den Tepelene-Besucher. Teile des Fundamente der Brücke rühren noch aus .. na klar, Ali Paschas Zeiten. Die heutige, löchrige Bridge, stammt aus den 50ern — es ist aber ein Erlebnis sie zu begehen und erst recht eins — die Vjosa in ihrer Wildheit zu “erleben”.
Jörg Dauscher erzählt in seinem Blog kurz und bündig über Tepelene: “Bereits Edward Lear berichtet 1809 von Verwüstungen, nicht den ersten und nicht den letzten, weil jede Armee seit den Cäsaren hier vorbeigekommen ist. Mag sein, dass es auch deswegen bis heute keine Brücke gibt über die Vjosa, nur eine Hängebrücke. Tepelene war nie Handelsstadt, Tepelene diente Jahrhunderte lang dazu, Fremde aufzuhalten. Ein lokaler Aberglaube besagt, dass die Stadt jedesmal vor der Zerstörung stünde, sobald sie mehr als hundert Gebäude zählen würde. Es wäre also mal wieder an der Zeit: Den letzten Aufstand hat Tepelene im Jahre 1997 gesehen, als von hier aus gegen die Regierung oder vielmehr das System Sali Berisha zu den Waffen gegriffen wurde.”
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