Ohhhhhh … Bärenjagd, wie unzivilisiert … beinah neanderthal. Alle wieder brav hinsetzten — wir “jagen” ausschliesslich nach Fotos und das gemeinsam mit rumänischen Tierschützern.
Rund 6000 Braunbären leben in Rumänien. Die mit Abstand größte Population in Europa. Einmal hier wollen wir die Bären in ihrem natürlichen Lebensraum erleben. Man findet einiges an Reklame für Bärensafaris von regionalen Anbietern im Internet. Was man da zu sehen bekommt können wir nicht sagen — allerdings fällt die Vorstellung schwer, dass sich bei den 2–3h Touren nicht nur um wenig nachhaltige, schnelle, Angebote handelt. Wir möchten möglichst nah ran, ohne die scheuen Waldbewohner zu stören — klingt widersprüchlich — richtig umgesetzt funktioniert es aber.
Wir engagieren für unser Vorhaben Katharina Kurmes. Die Deutsche (ehemalige Biologie Lehrerin) lebt mit ihrem Mann Herman seit über 20 Jahren im Gebirgsdorf Magura, im unteren Karpatenbogen, etwa 30 Kilometer von Brasow (Kronstadt). Beide betreiben eine wunderschöne Pension und engagieren sich im Naturschutz. Der Schutz von Wölfen, Bären und Luchsen in den Karpaten liegt ihnen sehr am Herzen. Siehe z.B das Carpathian Large Carnivore Project. Tourismus, und zwar sanfter und naturverträglicher spielt dabei eine wichtige Rolle. Unsere Wahl erweist sich als goldrichtig. Die Erlebnisse werden wir bis an unser Lebensende nicht vergessen.
Wir reisen rechtzeitig in der Villa Hermani an. Eigentlich sollten wir bei einer befreundeten Familie unterkomme, in der Pension gab es kein Zimmer mehr — als wir uns nach einer Übernachtung erkundigt haben — aber wir haben Glück. Herman begrüßt uns persönlich, schaut in das Belegungsbuch und lächelt. Ein schönes Zimmer ist, wie von Zauberhand, freigeworden — oder sehen wir so symphatisch aus? Jedenfalls ist noch Zeit für ein leckeres Bierchen auf der ausladenden Terrasse der Gaststube — immerhin haben wir etwa 27 Grad. Wir sind auf etwa 1100m — das Panorama auf das Piatra Craiului-Gebirge ist überwältigend. Zum sagenumwobenen Dracula-Schloss Bran sind es Luftlinie grad mal sechs Kilometer — von da kommen wir gerade.
Auf die “Jagd” begeben wir uns zusammen mit Jutta, Anita, Raphael und Corina. Die Schwestern Jutta und Anita sind waschechte Siebenbürger Sächsinnen — sie lebten früher hier und sind gemeinsam mit Herman in die gleiche Schule in Wolkendorf gegangen und in die gleiche Kirche, man ist befreundet. Corina ist in Rumänien aufgewachsen, lebt und arbeitet aber schon einige Jahre in Deutschland — Raphael ist ihr Freund.
Zusammen fahren wir mit einem Kleinbus zuerst etwa eine Stunde Richtung Sinca bis wir irgendwann in die Natur abbiegen. Die folgenden rund 10 Kilometer holpern wir durch Wiesen und auf Waldwegen. Es dauert, Katharina fährt vorsichtig, der Bus ist nicht Offroad tauglich. Eine Pipipause wird ebenfalls fällig (fünf Frauen onboard :-). Diese machen wir am Rangerposten. Der Chef-Wildhüter begleitet uns ab da. Wir dringen immer tiefer in den Wald vor. Ab einer bestimmten Stelle kommen die Fahrzeuge nicht weiter und auch die Ruhe in den Wäldern soll gewahrt bleiben. Es geht also zu Fuß weiter.
Immer wieder sehen wir Milane, Falken und sogar einen Adler. Auch Füchse und Rehe sind allgegenwärtig. In dieser Anzahl bekommt man in einem Deutschen Wald diese Tiere schon lange nicht mehr zu Gesicht. Das allein wäre ein hinreichender Grund hier in die Wildnis einzutauchen und sie ausgiebig und in Ruhe zu genießen. Heute sind wir aber alle auf Braunbären geeicht — ob wir überhaupt welche sehen werden????
Katharina erzählt, dass Sie hier schon etliche Male keinen Bären angetroffen hat. Die Ranger füttern zwar regelmäßig mit Leckereien an (Früchte und Maiskolben mit Honig bestrichen in kleinen Mengen) — die Hauptnahrung müssen die pelzigen Kraftprotze selbst finden. Bären sind übrigens Allesfresser, ernähren sich aber hauptsächlich von Früchten, Gräsern, Pilzen, Nüssen, Fischen und Ähnlichem. Sie können aber auch größere Tiere oder Vieh reißen. Etwa 2–3 x im Monat führt Katharina interessierte Tierbeobachter tief in die Wälder, in den nord-westlichen Ausläufern des Fagaras Gebirges (oben im Karpatenbogen).
Die Kurmes nehmen nur eigene Gäste mit auf so eine Tour … nicht alle sind geeignet. Ausdauer wird verlangt. Man sitzt stundenlang auf einem Rangerhochstand — es wird absolute Stille verlangt — keine Gespräche, kein Niesen oder Husten, kein Pipi in dieser Zeit (Eulchens größte Befürchtung 🙂 Kein Blitz, und selbst Apparate die mit Geräusch auslösen sind verboten. Die Tiere sind sehr scheu — wird uns erklärt. Zumindest wenn sie sich der Lichtung annähern. Gesättigt sind sie weniger vorsichtig — wie sich später zeigt.
Nach einem Fußmarsch erreichen wir einen geschützten Hochstand. Um einiges größer als wir sie aus unseren Wäldern kennen. Früher diente er den Rumänischen Bonzen zur Bärenjagd. Heute, von drei Seiten mit Brettern und vorn mit einer Plexischeibe verschlossen, dient er zur Bärenbeobachtung. Wir setzten uns leise und beginnen die Gegend zu beobachten. Die Frauen durch ein Fernglas, der Rabe durch das Teleobjektiv unserer Kamera. Es herrscht relative Stille. Nur der Ranger erklärt uns flüsternd einiges über die hier lebenden Bären. Katharina bzw. Corina übersetzten es uns. Bis auf uns beide und Raphael verstehen ja alle Rumänisch.
Es leben mehrere Männchen hier, einer davon, der älteste und größte ist aber der Platzhirsch. Die anderen sind noch jung. Zwischen 3 und 6 Jahren. Junge Bären leben oft bis zu zwei Jahren bei ihrer Mutter. Weibchen soll es hier viele geben — insgesamt wissen die Ranger von etwa 30 Bären die diese Gegend bewohnen. Zur Zeit führt kein Weibchen ein kleines Junges bei sich. In dieser Zeit greifen die Mamas alles an — auch Bärenmännchen, egal wie mächtig, und Menschen. Bären sind Einzelgänger. Nur selten bekommt man aus diesem Grund mehrere Bären gleichzeitig zu sehen. Zwei Männchen unweit voneinander zu beobachten ist fast unmöglich. Wir Glückskinder sollen aber Zeugen eines ganz besonderen Schauspiels werden.
Es ist etwa halb acht abends ‑wir suchen kaum länger als eine halbe Stunde den Waldrand mit unserer Optik ab — da flüstert der Ranger, dass sich ein Weibchen unserer Position nähert. Er sitzt draußen bei der Leiter und sieht die Bärin von hinten kommen. Irgendein Geräusch verschreckt das Tier allerdings und sie läuft, erstaunlich behände, davon. Bären können durchaus bis zu 50 Km/h schnell werden — ein menschlicher Topathlet max. 35 Km/h. Nun so schnell entfernt sie sich nicht — aber wir sind erstmal wieder allein.
Wenige Minuten später nähert sich aus gegenüberliegender Richtung ein junges Männchen, etwa 5 Jahre alt meint der Ranger. Dieser kann uns definitiv nicht wittern und diesmal herrscht wirklich eine absolute Ruhe. Das Tier kommt immer näher und sucht offensichtlich nach Obst. Die Tierschützer verstecken es immer wieder an anderen Stellen. Wir können eine komplette Lichtung einsehen und gut zweihundert Meter Waldrand dazu. Der Bär ist keine 60 Meter vor uns. Durch das Tele kann der Rabe fast sein Fell anfassen. Plötzlich kommen nacheinander zwei Weibchen aus dem Wald. Sie stören sich nicht an dem bereits anwesenden “Teenager”. Eins der Weibchen soll wohl sogar seine Mutter sein.
Auch die Damen beginnen mit der Suche. Weitere Weibchen und ein etwas reiferer Jungbär treten aus dem Wald. Der erste Teenie begibt sich auf gebührenden Abstand zum Konkurrenten. Erste Weibchen verlassen den Platz. Die nächsten zwei Stunden zählen wir gut 12 Bären die kommen und gehen. Keine Interaktion unter untereinander — sie werden ihrem Einzelgänger-Image voll gerecht.
Als der Platzhirsch irgendwann souverän aus dem Wald tritt und völlig sicher und zielgerichtet auf die Lichtung läuft (die meisten anderen Bären näherten sich wesentlich vorsichtiger) — kommt etwas Bewegung unter den grade Anwesenden auf. Die jüngeren Männchen machen offensichtlich Platz, bewegen sich an den Rand. Die Weibchen bleiben eher unbeeindruckt, sind aber etwas aufmerksamer — schauen oft zum Alphatier hinüber.
Es ist spannend, aufregend, fesselnd und überwältigend zugleich. Wir bekommen teilweise 6 Tiere gleichzeitig vor die Linse, auch mehrere Männchen. Der Rabe schießt in der ganzen Zeit gut 300 Fotos. Zwei der Bären trauen sich bis auf 20 Meter an den Hochstand. Sie MÜSSEN uns gewittert haben. Wir bekommen Gänsehaut. Die Tiere sind wunderschön — wohl genährt, gesund, man könnte fast sagen — gepflegt. Lediglich ein Jungmännchen trägt Narben eines Kampfes im Gesicht und sieht auch etwas ausgezehrt aus.
Nach einigen Stunden auf dem Hochstand nähert sich langsam auch die Nacht. Immerhin müssen wir noch per Fußmarsch durch den Wald zu unserem Fahrzeug. Unterwegs auf einen Bär zu treffen wäre in der Dunkelheit vielleicht kein Spaß mehr. Also runter vom Hochstand — aber das wird zum Problem. Einer der Jungbären hat es sich keine 5m hinter dem Hochstand, in einem Bach, ähnlich wie in einem Jacuzzi, bequem gemacht. Was nun? Unser Ranger versucht es mit Worten, mit Klatschen, mit Brüllen — der Jungzottel ist völlig unbeeindruckt. Erst nach einigen Minuten genüsslichen Plantschens bewegt er seinen Popo aus dem Bach und macht sich betont langsam von dannen. Soviel zu scheuen Bären 🙂 Wir traben nun zum Wagen. Das klappt reibungslos.
Das heutige Erlebnis werden wir wohl nie vergessen — ähnlich wie seinerzeit als wir der Eiablage von Meeresschildkröten in Nordzypern eine ganze Nacht lang beiwohnen durften. Es ist einfach einmalig und, wie zeigte es ein Werbespot einst “Mit VISA nicht zu bezahlen” — ein Riesendank nochmal an Katharina.
Die einmalige Bären-Foto-Safari soll jedoch nicht das einzige Wildlife-Erlebnis an diesem Tag bleiben — aber dazu mehr im Folgebeitrag. Soviel sei vorweg genommen — die Rückfahrt wird spektakulär!
Bärenreservat Zărnești — Liberty Bear Sanctuary
Einen Tag nach unserer Bären-Safari in den Wäldern der Karpaten besuchen wir noch das Bärenreservat in Zarnesti. Es ist mit Abstand die größte Bärenschutzeinrichtung in Europa. Schon die Anfahrt über Zarmesti weckt im Rabenprinzen etwas vom nie ausgelebten Paris-Dakar Feeling. Die letzten fünf Kilometer geht es über bucklige, staubige Feldwege auf denen sich andere Touris mit ihren Kleinstmietwagen vorsichtig. mit 5 Km/h vorwärts bewegen. Zum wiederholten Mal feiern wir unsere Entscheidung, einen höher gelegenen Allrad gemietet zu haben. Der Rabe fliegt mit 50–60 Klammotten förmlich an den schleichenden Wegelagerern vorbei und läßt sie in einer riesigen Staubwolke hinter uns verschwinden. Das macht Spaß — und bis sie oben ankommen, haben wir uns längst irgendwo eingeparkt und niemand wird erfahren wer die Roudys in dem Jeep waren. Bei der Abfahrt gönnen wir uns den Spaß erneut — einige böse Blicke, als wir wieder ins Auto steigen, töten uns erwartungsgemäß nicht.
Übrigens — die bewegende Geschichte der Entstehung des Reservates (im Wikipedia nachzulesen)- erklärt auch die Wortwahl bei der Namensgebung. Sanktuary bedeutet genauso Schutzgebiet, Zufluchtsort als auch Heiligtum. Und das ist es auch. Viele geschundene, malträtierte, unter erbärmlichsten Bedingungen, in verdreckten, engen Käfigen gehaltene Bären — hat die Gründerin Cristina Lapi aufgespürt, teils über Jahre aufgepeppelt und schließlich befreit und in “ihrem” Reservat untergebracht. Etwa 90 Bären leben hier — kaum einer davon hat eine Chance irgendwann wieder ausgewildert zu werden. Ihre Artgenossen in der Natur würden sie vertreiben oder gar töten. An Menschen gewöhnt, würden sie in der Freiheit nicht überleben können.
Sie können aber, hier im Reservat, auf großzügig vorhandenen Raum, unter möglichst naturgetreuen Bedingungen genesen und leben. Wohlgemerkt — es ist kein ZOO. Um sich zu finanzieren werden in der Woche, in den Morgenstunden zwei Führungen mit einer kleinen, begrenzten Personenzahl in englisch angeboten. Ansonsten haben die Tiere ihre Ruhe. In uns pulsiert noch das Blut 3x so schnell wie normal ob der Erlebnisse vom Vortag — vielleicht deswegen wirken die Bären hinter Gittern und Elektrozaun auf uns befremdlich … fast schockierend. Wenn man aber die grausamen Fotos der Bären sieht — als man sie vorgefunden hat — relativiert sich das Ganze. Sie haben hier einen Ort zum Leben von dem sie nie zu träumen gewagt hätten. Sie sehen gepflegt und gesund aus, sind wieder lebhaft (die meisten waren bei der Befreiung nur noch apathisch) — spielen, fressen, bewegen sich … und erinnern sich wahrscheinlich kaum mehr an sowas wie Freiheit, Natur, Wälder und Wildnis.
Übrigens, in ganz Europa leben verstreut und genetisch voneinander getrennt nur noch wenige Braunbären. Mal von Russland abgesehen — gibt es in Europa nur noch rund 8000 Tiere. Davon gut 6000 in Rumänien.
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- Kantabrisches Gebirge, Nordspanien: bis zu 140
- Pyrenäen: ca. 10
- Südskandinavien: ca. 150 bis 200
- Abruzzen, Mittelitalien: etwa 70 bis 100
- Norditalien/Österreich (Alpen): etwa 15 bis 30
- Westbalkan: etwa 550 bis 800
- Karpaten: etwa 6600 in Rumänien
- Polen: ca. 70
- Gebirge Bulgariens: ca. 500
- Nordgriechenlands: gut 100
- Skandinavien Finnland ca. 430 bis 600
- europäisches Russland westlich des Ural: etwa 26.000 bis 27.000
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Fotoquelle: Wikipedia
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