Georgien — Freunschaft auf den ersten Blick
Georgien??? Krieg, Gewalt, Kriminalität, Mafia — Seid ihr jetzt völlig übergeschnappt? Und dann noch in die abgelegensten Regionen. Die Reaktionen unserer Freunde und Familien auf die Auswahl unserer Reiseziele kennen wir bereits. Hej Leute, ist ja echt putzig und süß von Euch. Wie immer stimmt kein einziges Vorurteil deutscher Schäfchen mit der Realität überein. Im Gegenteil — wir werden von unbeschreiblicher Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Georgier schier überwältigt.
Beratungsresistent (was die “überlegt es euch nochmal” Stimmen angeht) und Stolz landen wir am Sonntag-Nachmittag mitten im Mai auf dem kleinen, netten Flughafen von Kutaisi in Westgeorgien. Vier Stunden Flug vergingen wie im .… Flug. Auch wenn es hier keine einzige Boutique gibt (das führt bei Eulchen auf dem Rückflug zu depressiven 5 Minuten;))) — bekommt man hier alles was der Touri zum “überleben” braucht. Den netten Mann der ein Mega-Schild mit unserem Namen hält — kann man nicht übersehen. Der Ankunftsbereich ist nicht größer als unsere Wohnung. Er hat’s nicht eilig. Wir sollen in Ruhe alles erledigen. Wir zapfen die ersten Lari aus einem Geldautomaten und bestücken unser “Routing-Navigations-Dritthandy” mit einer lokalen SIM … zum Spottpreis übrigens, 30GB für umgerechnet ’n Zehner.
Kurz darauf begrüßt uns Kakha strahlend. Er betreibt in Kutaisi ein Guesthouse, ein kleines Büro das Touren und Ausflüge für Touristen organisiert und nebenbei wird hin und wieder auch einer seiner drei Jeeps vermietet. Alles läuft völlig unkompliziert und unbürokratisch, bereits ab dem ersten Kontakt vor über einem halben Jahr. Der Rabe hat englischsprachig im georgischen Internet gesucht und wurde fündig. Per Whatsapp handeln wir alles nötige aus — fertig. Jaaa — ich weiß — ein typischer Deutscher würde Fieber, Zittern und Krätze bekommen bei dem Gedanken nicht alles geregelt, versichert und sechs Mal schriftlich bestätigt — (und das jeweils vom Vermittler, Vermieter und Versicherer) — aber so läuft das nun mal in manchen Ecken dieser Welt .… und es ist gut so. (Einige Seiten Papier werden vor Ort unterschrieben, natürlich)
Für rund 450 Dollar bekommen wir einen gut eingefahrenen (10 Jahre ~ 120 000 Km) Mitsubishi Pajero. Top Hardware um in entfernte Regionen des Kaukasus zu kommen. Kratzer, Dellen, Beulen interessieren weder Kakha noch uns, weder bei der Übergabe noch bei der Rückgabe. Der Rabe lässt sich noch schnell die Zauberkräfte der Maschine erklären (SS4-II Super Select Allradantrieb, Vorderachsdifferential, sperrbares Zentraldifferential mit Viskokupplung, elektronische Traktionskontrolle, Geländeuntersetzung) und es geht los.
Unsere Fahrtrichtung steht bis zum letzten Moment nicht fest. In den schwer zugänglichen Bergregionen des Kaukasus, sollen von Regen und Gewittern heimgesucht werden. Da die Wetterapps nicht einmal das gestrige Wetter genau ansagen können beschließen wir am Vortag doch auf “Risiko” zu gehen. Wir steuern Richtung Großer Kaukasus. Bis in die Berge sind es gut 300 Kilometer. Auf georgischen Straßen und Bergschotterpisten sind das locker 5–7 Stunden Fahrt. Wir suchen uns ungefähr auf der Hälfte ein Quartier. Zuvor wollen wir aber noch eine Sowjetische ingenieur-technische Meisterleistung mit eigenen Augen sehen.
Enguri Staudamm
Den Enguri Staudamm. Er ist mit 750m Breite und 271,5 m Höhe das größte Bauwerk im Kaukasus. Einige Zeit war er das größte gewölbte Bauwerk der Welt. (seit 2012 ist es ein Staudamm in China). Definitiv ist die Staumauer die fünfthöchste auf der Welt. Das dazugehörige unterirdische Wasserkraftwerk produziert jährlich rund 4,5 Milliarden Kilowattstunden. Das deckt fast 50 % des Stromverbrauchs Georgiens. Mehrere Quellen behaupten — der Enguri-Damm wäre, dank der ihn umgebenden Berglandschaft, einer der schönsten Dämme der Welt.

(diese atemberaubende Aufnahme stammt ausnahmsweise nicht von uns sondern von den Profis vom Urbexplorer.com)
Der Fluss Enguri bildet einen Teil der Grenze zum abtrünnigen Abchasien. Staumauer und Kraftwerk stehen auf Georgisch kontrolliertem Gebiet — Transformatoren und andere technische Einrichtungen auf Abchasischem Gebiet. Interessant ist, dass man beim Strom — trotz erbitterter Feindschaft — zusammenarbeiten kann. Die Navigations-Apps tun sich schwer. Wir bewegen uns im Grenzgebiet zu einem verfeindeten Staat. Der Damm ist trotz seiner gewaltigen Ausmaße von georgischer Seite nicht zu sehen. Wir folgen unserem Gefühl und schlängeln uns zwischen zwei Bergen soweit wie es geht ran, bis wir auf einmal vor einen Tor mit zwei Wachmännern stehen. Das Gelände ist weiträumig eingezäunt. Wir parken im gebührenden Abstand, der Rabe kämpft mit den Fensterhebern unseres Jeeps. Diese wollen unbedingt in der Mitte zum Stehen kommen. Einer der Männer kommt auf uns zu. Unsere Befürchtung es könnte haarig werden zerstreut sich in Sekunden. Der Mann will uns nur helfen das Fenster Problem zu lösen. Nach ein paar Worten und einem gemeinsamen Zigarillo — ist das Fenster endlich zu und wir dürfen hinter den Zaun.
Die letzten paar Meter geht’s zu Fuß. Erst 100m vor dem Damm bekommt man ihn zu Gesicht. Monströs und wunderschön, gewaltig und gleichzeitig anmutend wie ein Kunstwerk. Wir sind fasziniert. Solch Schönheit in solch abgelegenen Regionen — und wir sind erst seit vier Stunden in Georgien — was werden wir noch alles erleben????
Wie sehr wir mit diesen Gedanken Recht haben — wird uns in den folgenden Tagen mehrmals täglich bewusst.
Vom Damm sind es nur wenige Kilometer zu unserem Quartier. In einem kleinen etwas abgelegenen Dorf, unweit Jvari, finden wir es. Das Haus der Familie Matua — Weinbauern seit Generationen. Ein paar Haustiere halten sie auch und, seit dem die Kinder zum studieren in die Hauptstadt sind, vermieten sie ab und zu an Reisende.
Wir sind heute die Einzigen. Platz ist genug. Zwei symmetrische Haupthäuser sind durch einen Mitteltrakt verbunden — auf dem eine 200 m² Terrasse deutlich macht — uns geht es gut. In Europa wäre es unbezahlbar und sicher von einem Promi bewohnt. Es beginnt zu grauen. In Georgien wird es wegen der zwei übersprungenen Zeitzonen zwei Stunden eher dunkel. Dass Georgier traditionell eine unvergleichliche Gastfreundschaft pflegen wussten wir im Voraus — was uns bei Jewdokja und Abel widerfährt lässt unseren westeuropäischen Kulturkreis in vielerlei Hinsicht echt blass aussehen.
Schon bei der Begrüßung funkt es — spürbare Sympathie erleuchtet die Stimmung. In den folgenden Stunden und am Folgetag keimt daraus eine kleine Freundschaft. Es ist vom unschätzbaren Wert, dass der Rabe mal früher (vor 35 Jahren) fast fließend Russisch gesprochen hat. Zuerst aber können wir uns unser Nachtlager aussuchen. Es gibt hier zwei Doppelzimmer und ein Appartement — unterschied 6€ — ein Lacher. Natürlich nächtigen die Eulenkönigin und der Rabenprinz standesgemäß. Allein das Schlafgemach ist gut 40m² groß — dazu ein riesiger Salon und ein sehr großzügiges Bad — alles für umgerechnet 26€. Georgien live eben😊 Jewdokja ist Ukrainerin und erst vor 30 Jahren nach Georgien gekommen … der Liebe wegen. Russisch, Ukrainisch, Polnisch alles verwandte Sprachen. Wir sind glücklich, endlich können wir uns frei unterhalten, erzählen, fragen, witzig sein. Rabens Russisch wird schon an diesem Abend immer besser ‚später im Verlauf der Reise, fallen ihm sogar kompliziertere Vokabeln wieder ein. Auch unsere Gastgeber sind neugierig. Zum ersten mal können sie etwas über das Leben in Gjermanja erfahren. Es waren schon Deutsche hier, sprachen aber nur Englisch.
Nebenbei, fast unbemerkt, deckt Jewdokja im Hof einen großen Tisch ein. Immer wieder entschwindet sie unbemerkt in die Küche und bereitet auch noch das Abendmahl für uns zu. Wir dürfen währenddessen schon mal unseren ersten georgischen Wein kosten — den gibt’s hier einfach überall. Ihn auf einem Weingut zu trinken ist ein traumhaftes Erlebnis. Abel schenkt uns ein … weißen (der hier fast rose ist) und roten ein. Dann wird eine Karaffe vollgemacht. Zum Schluss wird aus dem “Rog” getrunken — aus dem Horn. Das Eulchen lernt: das Horn muss man austrinken … abstellen kann man es nicht 😊 Auch einen 38m tiefen Brunnen gibt’s hier — das kristallklare Bergwasser ist erfrischend kühl und schmeckt vorzüglich. Jewdokja beginnt aufzutragen. Wir denken zuerst es ist für vier. Nein, alles für uns … und das Auftragen geht im 10min Takt weiter. Immer neuere Leckereien, deren Namen wir kaum aussprechen können … Blinchiki, Qatmis, Chkhirebi uvm. Alles für uns absolut neu, exotisch, pikant, würzig dennoch nicht scharf, vor allem aber unnachahmlich lecker. Dazu fließt der Wein … und es wird noch lang angeregt debattiert. Ein herrlicher erster Abend unter Georgischem Himmel.
Wir schlafen in unserer feudalen Suite wie Babys — zehn Stunden ununterbrochen. Nicht nur der Wein und die frische Luft tragen dazu bei — auch das Bett. Fast alle Betten in denen wir in Georgien nächtigen dürfen sind aus massiven Holz. HOLZ!!! Nicht wie in unseren Breitengraden Holzprodukten … Sperrholz, Leimholz, Pressholz, billigen Kiefernholz oder Kunstsoff. Kein wackeln, kein quietschen, nichts ist lawede. Keine zwei Tage später erzählt uns ein Swane eine Geschichte aus seiner Familie, die bezeugt wie wichtig den Georgiern ihr Bett ist😊 (Dazu mehr im Beitrag über Swanetien/Kaukasus)
маленькая дружба — Kleine Freundschaft
Jewdokja, die wir seit gestern Abend Dusja (das ist ihr Kosename) — nennen dürfen bereitet uns ein phänomenales, georgisches Frühstück. Unnötig zu sagen, dass alles was hier auf den Tisch kommt ausschließlich aus eigener Zucht/Anbau/Herstellung stammt. Abel zeigt der Eulenkönigin derweil die Tierstallungen und den Obstgarten. Ein Schock für uns ordnungsverwöhnte Deutsche. Solch eine Ordnung und Sauberkeit haben wir in unserem Leben noch nicht erlebt. Nirgendwo auch nur ein “Kleks” und das bei 30 Hühnern und etlichen Puten. Auch zwei Schweine und eine Kuh mit einem Kalb hausen hier .… und … nichts, keine Fladen, keine Haufen, kein Unrat, kein Müll … alles säuberlichst gerecht und gekehrt. Die Tiere sind bestens ernährt und gepflegt — haben Auslauf und Freiheit sich überall zu bewegen. Der Umgang mit Tieren ist in vielen solchen Ländern ein völlig anderer als bei uns.
Noch vor dem Essen bekommen wir ein Weinhorn geschenkt — aus Ton, rundherum verziert und bunt angemalt. Eine sehr schöne Handarbeit — ob alle Gäste hier so empfangen werden? Einzigartig diese Gastfreundschaft — es übertrifft alles was wir über dieses Land gelesen haben.
Nach dem Frühstück werden wir ins Haus eingeladen … in das private Heiligtum des Georgiers. Dusja zeigt uns stolz die Küche. Abel ist stolz auf das große Zimmer, zeigt dem Raben “seine” Bibliothek. Hierher zieht er sich zurück wenn er Ruhe braucht. Darin viele Erinnerungsstücke und Fotos von Familie und Freunden. Als Bursche spielte Abel bei der Jugend von Dînamo Tiflisi zusammen mit einem der bekanntesten Georgischen Fußballer. Wer denkt schon, dass ein Bauer eine Bibliothek hat oder fast Profifussbaler war???
Das Schlafzimmer und die Kinderzimmer zeugen ebenfalls vom Wohlstand — und das sind nur die Räume eines der beiden Haupthäusern. Im anderen befindet sich untern ein Raum das locker als großes Restaurant dienen könnte .. mit super edlen Bodenfließen ausgelegt. Darin wird die Haselnussernte zum trocknen gelagert. Die Eulenkönigin hilft zugleich beim Sortieren.
man beachte die Fließen — der Hammer
Wir wissen, dass wir heute weiter wollen — Richtung Kaukasus — Swanetien. Eigentlich haben wir beschlossen, dort wo es schön ist länger zu bleiben. Das halten wir bei dieser Reise nicht ein. Die Neugier ist zu groß — es gibt soviel zu entdecken. Aber bereits am ersten Abend bei den Matuo’s wissen wir 1000%ig — dass es nicht das letzte Mal ist, dass wir dieses paradiesische Land bereisen. Wir verabschieden uns und versprechen im nächsten Jahr wieder zu kommen. Die kleine Freundschaft pflegen wir nach der Rückkehr weiter .. per Email .. schön. Bis bald Freunde!
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