Am Koman See — Bashota “das abgelegenste Gästehaus des Kontinents”
Nach der Übernachtung und den geschichtsträchtigen Eindrücken auf Skanderbergs Burg in Kruje steuern wir ins Prokletije — die albanischen Alpen. Zwischen Montenegro, Kososovo und Nordalbanien erstrecken sich gewaltige Bergmassive mit steilen Bergrücken und tief eingeschnittenen Tälern .. wie tief erfahren wir in zwei Tagen (dazu mehr im nächsten Beitrag). Das stark karstige, schroffe, zerklüftete Massiv, mit Gipfeln bis zu 2700 Metern Höhe — sieht den Alpen sehr ähnlich.
Der Weg führt uns heute an den Koman-See. Eine Perle der Schönheit zwischen den Felsen der verwunschenen Berge. Nah dem Dorf Koman, in der Schlucht von Malgun, wurde zwischen 1980 und 1989 eine gewaltige Staumauer errichtet — wodurch der wilde Fluss Drin begann sich aufzustauen. Heute schlängelt sich der so entstandene See über 34 Kilometer lang bis zur Staumauer des Fierza Stausees.
Zwischen beiden Orten (Koman — Fierza) verkehrt eine Fähre. Unser ursprünglicher Plan sah vor mit dem Auto, auf der Fähre, Valbona zu erreichen — um von dort das malerische Theth zu erwandern. Es ist allerdings eine 12 Kilometer-Wanderung mit 1000 Metern Höhenunterschied (und einer Rücktour 1–2 Tage später). Da wir keine sehr ausgeprägte Hickingpsychose haben, und den Rest des Urlaubs nicht mit Rekonvaleszenz zubringen wollen — wird dieser Plan einstimmig abgelehnt. Respekt vor allen, die es geschafft haben — es soll wunderschön sein.
Wir beschliessen den See anders zu entdecken. Dazu wird eine Übernachtung gesucht. Es gibt in der Nähe einen Campingplatz und es gab wohl sowas wie ein Hotel .. beides macht uns nicht glücklich.
Wir bemühen ausnahmsweise das Airbnb. Nicht weit von hier wird EIN einziges Zimmer angeboten. Dieses Zimmer wird zu einem unserer bisher größten (endemischen :)) Abenteuer überhaupt. Ein Engländer beschreibt es in seinem Blog wie folgt: ” … es ist wahrscheinlich eins der abgelegensten Gästehäuser des Kontinents.”. Aber der Reihe nach.
Die 120 Kilometer von Kruja zum Komani-Lake teilen sich in zwei Abschnitte. Die ersten etwa 70 Kilometer, bis kurz nach Plezhe, fährt man zügig und bequem, entlang der gut ausgebauten SH1. Dann biegen wir Richtung Mjede ab und ab etwa Vau Deja beginnt eine malerische Fahrt auf einem schmalen, schotterigen, löchrigen Weg.
Es geht die ganze Zeit entlang des Umrisses einer Bergkette zur Rechten. Dann parallel dazu, entlang des Drin-Tals, zur Linken. Man spürt, dass man sich von der “Zivilisation” entfernt. Der Weg wird immer holpriger. Wir fahren immer langsamer. Für die letzten 33 Kilometer benötigen wir knappe zwei Stunden (mit Foto- und Pipipausen). Der Weg endet an einem Tunnel. Wir durchfahren ihn und sind endlich da. Eine etwa 50x50 Meter große, betonierte Fläche die zwei Gebäude und den Fähranleger beherbergt. Wir gönnen uns Kaffee und ein kaltes Bierchen und schauen dem Treiben auf dem künstlichen Eiland zu.
Ab hier beginnt unser Bashota-Abenteuer. Wir setzten das Auto zurück vor den Tunnel, packen zwei Minirucksäcke mit Zahnpasta, T‑Shirts und Wasser und kehren zu Fuß zum Koman. Ein junger Mann bringt uns mit einem kleinen Bootchen zur Anlegestelle der Bujtina. Eulchen glaubt bis dahin noch an einen Scherz — zumindest bis sie den ersten Schritt ans Ufer setzt. Auf einen großen Stein ist eine Sonne aufgemalt und mit roter Farbe steht auf dem nächsten Stein “Bashota”. Auch unser Fährmann lässt keinen Zweifel daran, dass wir richtig sind. Wie ET hebt er den Arm und streckt seinen Zeigefinger Richtung (fast) Himmel aus. “good luck” sagt er noch zu Verabschiedung und lächelt.
Es sind etwa 27 Grad. Spontan springen wir nackig in den Koman — das Wasser ist angenehm, nicht zu kalt. Dann beginnt der Aufstieg.
Es sind rund zwei Kilometer in denen wir etwa 400 Meter Höhe bewältigen. Wir schwitzen, Stolpern, stöhnen, ächzen… so ähnlich muss sich der Jakobsweg anfühlen. Nicht weit entfernt sehen wir den 1500 Meter hohen Qerret. Wir sind kurz vorm Verzweifeln, Im nächsten Moment wieder jauchzend vor Glück ob der atemberaubenden Ausblicke. Dann wieder zähneknirschend weil es weiter steil bergauf geht. Nach einandhalber Stunden erreichen wir ein verfallenes Tor, dahinter ein Steinhaus mit Nebengebäuden. Sind überglücklich es geschafft zu haben, bis uns zwei Frauen zu verstehen geben, dass wir nicht am Ziel sind.
Eine weitere viertel Stunde steil aufwärts finden wir endlich “unsere” Bujtina. Ein einfaches Steinhaus am Berghang. Ein Zimmer wurde für die Touris etwas hergerichtet. Vier Betten, ein Ofen, ein Tisch, eine wacklige Steckdose, eine Lampe. Draußen von Weintraben und Kiwis verhangen, ein drei Meter breiter Streifen, entlang des Hauses — mit zweit Tischen und paar Stühlen. Kinder spielen Ball, Hühner zwischen den Beinen, ein Hund bellt aufgeregt an der Kette.
Toilette und Waschgelegenheit sind hinter dem Haus, ebenfalls am Hang, jeweils in einer Holz- oder Blechbude. Einfach eben aber wir wollten erfahren wie die Menschen hier in den Bergen leben. Es leben übrigens nur diese beiden Familien hier oben, Die Nächste Menschensiedlung ist paar Kilometer entfernt.
Durchgeschwitzt und völlig abgekämpft begrüßen wir die albanische Familie, die für die nächsten Tage unser Gastgeber sein wird. Eins steht zu diesem Zeitpunkt jedenfalls fest. Diese Strapaze nicht nochmal!!! Den nächsten Tag bleiben wir hier oben — wir rühren uns kein Stück.
Bereits eine Stunde später sieht die Welt schon wieder freundlicher aus. Ausgeruht, mit Wasser und Raki abgefüllt, schmieden wir einen neuen Plan. Ein Boot wird per SMS für halb acht an den Steinhaufen geordert. Die Zeit hier in Albanien ist viel zu kostbar um die Tage zu verplempern :)))
Die Familie ist sehr nett und noch mehr bemüht spricht aber keine Fremdsprache. Lediglich Andrea, ein 12 Jähriger, der bei seinen Großeltern die Ferien verbringt kann sich mit uns unterhalten. So erfahren wir beim gemeinsamen Abendessen etwas über das Leben hier und die Familie. Lernen gemeinsam Vokabeln und üben die richtige Aussprache. Etwas spät gibt es endlich Abendessen. Die Weiße Bohnensuppe mit Ziegenfleisch ist oberlecker, der selbstangebaute und verarbeitete Wein auch, nach weiteren drei Raki schlafen wir herrlich.
Nach dem Frühstück beginnt der Abstieg. Der hats ebenfalls in sich. Wir sind zwar in einer Stunde am “Stein” aber eine Sekunde Unaufmerksamkeit könnte mit dem Absturz enden und ein Notarzt in dieser Pampa??? Soweit kommt es nicht und auch das Boot ist pünktlich da. Unsere “Vermieter” kommen mit einigen bepackten Eseln übrigens auch an die “Anlegestelle”. Sie sind eine halbe Stunde nach uns losgelaufen … mit billigen Turnschuhen an den Füßen.
Die Überfahrt zählt definitiv zu den schönsten Fährfahrten Europas — wenn es nicht sogar die schönste ist. Etwa 2,5 Stunden schlängelt man sich durch 50–400 Meter breiten Canyon, zwischen schroffen, karstigen Felsgipfeln, dann wieder zwischen bewaldeten Bergen. Tiefe Schluchten zur Rechten und zur Linken bilden eine einmalige Kulisse. Hinter jeder Biegung des Sees immer wieder neue, atemberaubende Panoramen. So müssen norwegische Fjorde aussehen nur ununterbrochen 150 Minuten lang — wahnsinnig schön.
Es kursieren zwei Fähren zwischen Koman nach Fierze. Beide legen um 9:00 Uhr ab. Wir heuern auf der größeren, an. Da ist wenigstens eine kleine Theke, die kalte Getränke anbietet. Die kleinere betreibt Mario Molla. Mario ist eine Institution hier am Koman. Er hat aus einem alten Bus eine Fähre gebaut und transportiert damit Gäste auch zum Gasthaus seiner Familie etwa auf der Hälfte des Sees. Mit uns an Bord der “Barisha” ein holländischer Oldtimer-Club. Gut 15 Autos und die Besatzungen dazu. Auch paar polnischer Biker sind mit von der Partie. Etliche junge Leute mit Rucksack wollen sicher in das Valbona-Tal. Es hat sich wahrscheinlich herumgesprochen, dass die Balkanländer einfach wunderschön sind was die Natur, das Essen und die Gastfreundschaft betrifft. Wir hoffen, dass Albanien in den nächsten Jahren von Touristen nicht überrollt wird.
In Fierze (eigentlich in der Pampa einen Kilometer davor) legt die Berisha kurz vor halb 12 an. Außer einem kleinen Cafe ist hier nichts. Autos und Motoräder rollen von Bord. Auf das Fußvolk warten Kleinbusse, die es nach wahlweise nach Fierze, Valbona oder weiter bringen. Die Fähre fährt 13 Uhr wieder zurück. Wir genießen einen Kaffee und einen kleinen Imbiss (beides gabs auf der Fähre nicht — nur kalte Getränke) und eine kleine Folklore-Einlage. So sind sie, die Albaner — freundlich, ausgelassen und gut drauf.
Die Rückfahrt liefert wieder neue Eindrücke, neue Aussichten und neue Fotos. Wir lernen eine allein reisende Deutsche Rucksacktouristin kennen, die Zeit vergeht wie im Flug. Wieder am Anleger in Koman — überfällt der Rabe einen kleinen Grill. Eine Frau bietet Meatballs und Hähnchenstücke an. Wohlwissend, dass in der Bashota Veganes In ist — bring der Rabe seinen Eiweiß- und Fettspiegel auf ein Bevorratungs-Niveau.
Danach wieder mit einem Boot übersetzten, nackt baden und die Strapazen des Aufstiegs. Diesmal scheint es uns irgendwie leichter zu fallen. Zwar brauchen wir immer noch gut 90 Minuten, sind danach aber nicht ganz so geschafft wie am Vortag. Wir sind jedenfalls stolz, es zum zweiten Mal geschafft zu haben. Den Rest des Tages, besser Abends verbringen wir mit Andrea — dem Jungen. Am liebsten spielt er WWM auf dem Ipad. Wenn wir ihm die Fragen übersetzten kennt er erstaunlich viele Antworten. (Ob sie ein deutscher Fünftklässler genau so beantworten könnte???)
Mama Emanuel und die Cousins Nikola und Leandro gehen ihrem normalen Tagesablauf nach. Die Königin kümmert sich mit Papa Gjon um die Ziegen. Leider ist da diese Sprachbarriere — aber mit Händen und Füßen klappt auch die Ziegenfütterung ganz ordentlich. Etwas leid tut uns Bardosh, der Hund. Er bleibt beide Tage an der Kette. Angeblich kann er, wenn keine Fremden da sind aber frei laufen.
Abends eine Überraschung. Der Rabe hat sich gestern sowas wie Zaziki gewünscht. Hat uns .. in NIvica so lecker gezaubert. Mama Emanuel zaubert auch. Hier oben eben mit frischem Ziegenquark, vieeeeel Knoblauch und was sonst dazu gehört. Der Eule mundet es nicht so — der Rabe ist glücklich. Das Gericht heißt übrigens Salcë kosi. Den Rest der Mahlzeit machen Tomaten, Gurken, Ziegenkäse und weiße Bohnensuppe. Es wird gegessen was hier oben angebaut und geerntet wird. So leben diese Menschen hier und sind glücklich. Das selbstgebackene Brot ist jedenfalls vorzüglich.
Bei Zeiten fallen wir ins Bett und schlafen durch wie die Murmeltiere. Morgen können wir etwas länger grunzen. Das Boot haben wir für um 10:00 bestellt. Frühstück, Abschied und Abstieg — wir wollen noch einmal im See baden. Alles klappt wie ein Länderspiel. Noch ein Kaffee in der Bar bei der Fähre und wir können für heute unsere Wanderschuhe ausziehen. Es geht nach Theth … was auf dem Weg auf uns wartet, lässt sich kaum in Worte fassen. Es wird die abenteuerlichste Fahrt in unserem Leben — und der Rabe hat bestimmt mehr als 600 000 Kilometer in so einigen Ländern dieser Welt abgespult.