Heute verlassen wir Ostalbanien. Nach einem herrlichen Frühstück auf dem Shën Ilia, dem 1500 m. hohen Hausberg von Korcë, starten wir ins Landesinnere . Es wundert uns etwas als Googlë Mëps 🙂 uns rund fünf Stunden Fahrzeit avisiert, denken uns aber (noch) nichts dabei. Erst eine halbe Stunde später wird uns klar, was es damit auf sich hat.
Unser Ziel – Albaniens-Mitte, irgendwo zwischen Permet oder Tepelene … so genau wissen wir es noch nicht. Dass wir dabei fast unberührte Bergregionen passieren werden, ist uns nicht bewusst (das nächste Mal wird definitiv bessere Aufklärung betriebenJ ). Auch nicht, dass das mit den Straßen in Albanien, die manch ein Reise-Blog beschrieb, durchaus ernst gemeint war. Fernab von Hauptstraßen – erwartet man nichts anderes (haben wir nach Shipske und nach Dardhe erlebt) aber die einzige Fernverbindung?
Der Rabe kommt fahrtechnisch, an diesem Tag, voll auf seine Kosten. 180 Kilometer Fahrstrecke wovon gut 150 durch Bergmassive, entlang von schroffen Gipfeln und Flusstälern, fast alles auf unbefestigten Wegen voller Schlaglöcher, Wellen, Steine und Schotter. Dennoch wird es die MIT ABSTAND SCHÖNSTE FAHRT UNSERES LEBENS.
Bereits kurz nach Kamenice, keine halbe Stunde ab Korce, endet die „schöne Straße“, die man durchaus mit 60 Km/h befahren kann und ein Wegweiser schickt uns eine kurvenreiche Steigung hoch. Zuerst vermuten wir eine Umleitung. Als wir aber nach 20 Kilometern den zweiten Gipfel etwa auf 1000 Meter Höhe umfahren haben wird uns die avisierte Fahrzeit schlagartig klar. Ab da ergeben wir uns einfach nur noch der Schönheit der Natur. Das Eulchen knippst was das Zeuch hält. Der Rabe stopt hinter jedem Berg um das Panorama zu bewundern. Diese Ausblicke nehmen in den folgenden 5–6 Stunden kein Ende. Es entstehen unzählige Fotos. Es raubt uns förmlich den Atem. Nach der Hälfte der Strecke sind wir voll gesogen mit Eindrücken und schweben im siebenten Himmel. Soviel Schönheit auf einmal – das ist doch nicht auszuhalten. An jeder dieser unzähligen Berg-kurven würden in Deutschland, in Österreich oder in der Schweiz, fünf Hotels und zehn Restaurants stehen – Millionen Touristen würden sich auf den Wanderwegen tummeln. Hier gehören diese traumhaften Ausblicke allein den Hirten und Schäfern, den einzigen Menschen die wir auf Kilometerlangen Passagen treffen.
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Zwischen Erseka und Çarshovë fahren wir rund 60 Km entlang der Grenze zu Griechenland. Nur ein Steinwurfweite trennt uns von Macedonien. An der engsten Stelle bei Kalovrisi trennt uns nur noch ein Fluss von Hellas Land. Dann biegt der Weg wieder ins Landesinnere ab. Wie hart das Leben in den albanischen Bergen sein muss — davon zeugt der Fakt, dass wir auf 100 Kilometern unbefestigter Passwege und Serpentinen, zwischen Erseka und Permet, nur ganze 5 Dörfer passieren. Das größte davon, Leskovik, war vor Gründung Albaniens (1913) ein wichtiger Warenumschlagplatz an der Kreuzug der Handelwege vom Orient nach Europa bzw. von Griechenland in den Norden. Heute leben hier nur noch 15 Hundert Menschen.
Kurz nach Erseka klettern wir mit unserem Fabia in noch höhere Regionen. Durch den Nationalpark Dangellia, eines der schönsten Waldgebiete Albaniens nähern wir uns den schönsten Berglandschaften dieses Kontinents. Vorbei an den Auslegern des Pindosgebirges, durch den Barmash-Pass weiter hoch auf die Ostflanke des Nemërçka Bergstocks. Wir sehen aus verschiedenen Blickwinkeln den Maja e Papingut (mit 2485 m ü. A. der höchsten Berg Südalbaniens) – traumhaft. Es geht weiter durch die Çarçova-Schlucht bis wir, zwischen den gewaltigen Gipfeln des Mali i Melesinit Gebirges plötzlich einen, im wahrsten Sinne des Wortes, WILDEN FLUSS zu sehen bekommen.
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Anfänglich schneidet er sich seinen Weg zwischen den felsigen, nicht weniger wilden Bergrücken. Mit spektakuläre Schluchten spaltet er die mächtige Nemercka-Bergkette, verstärkt sich durch den Zufluß der Lengarnica, die ihrerseits traumhafte Landschaften bildet und sich ebenfalls ihren Weg zwischen den überwältigenden Felsen des Nemërçka erzwingt. Wir begleiten dieses NATURWUNDER bestimmt 50 Kilometer ohne zu wissen, dass es die VJOSA ist. Erst später erfahren wir, dass die Vjosa DER EINZIGE NOCH UBERÜHRTE FLUSS Europas ist. Der einzige den der Mensch nicht verändert hat – keine Begradigungen, keine Staudämme, keine Deiche, kein Hochwasserschutz (völlig unnötig hier – der Mensch baut nicht da wo der Fluss seinen Platz in der Natur hat), keine Uferbefestigungen, keine Staustufen, Hebewerke und keine Wasserkraftwerke. Diesem Fluss auch nur in der Vorbeifahrt zuzusehen berührt uns tief. So sieht ein Fluss aus – besser – so hat einer auszusehen, so sahen auch unsere Flüsse mal aus …. irgendwann. Einen Elefanten oder einen Löwen kann man im ZOO erleben – einen naturbelassenen, ursprünglichen Fluss bekommen unsere Kinder nicht mehr zu sehen. Dabei ist er so schööööön, so märchenhaft – und die Existenzgrundlage so vieler Menschen. Tourismus und Fischfang sichern, allein entlang der Vjosa, tausenden Albanern ein Auskommen.
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Benje und Vjosa — der schönste Fluss Europas
Wir sind bereits 4h unterwegs, es wird etwas flacher, als plötzlich ein Schild unsere Aufmerksamkeit erregt. Thermal Springs – Thermal Quellen. Dass es in der Gegend welche gibt, dass hat die Aufklärungseule gelesen – auch herrliche Fotos waren dabei – aber wir haben sie viel weiter vermutet. Sechs Kilometer signalisiert das Schild – wir sind frei – das lassen wir uns nicht entgehen und riskieren einen Abstecher den wir nie vergessen werden. Nach genau sechs Kilometern auf holpriger Piste sehen wir zuerst eine Steinbogenbrücke – dann das Paradies. Es sind die Thermalquellen von Benjë. Hinter der Brücke aus dem 17. Jahrhundert bilden Felsen mit vielen Grotten und Höhlen und die überragenden Gipfel des Nemërçkës Gebirges eine Traumkulisse. Direkt neben der Brücke ein aus Steinen geformtes Bassin. Ein polnisches Paar auf dem Rückmarsch attestiert uns herrlich warmes Wasser. Umgezogen sind wir schnell und schon gleiten wir über ziemlich rutschige Steine ins Becken. Genau das Richtige nach solch einer langen Fahrt. Wir genießen das etwa 30 Grad warme Wasser. Neben uns nur noch ein russisches Pärchen und ein Albaner. Die Russen sind besser vorbereitet und „treiben es“ stillvoll. Er zündet eine Flasche Krimskoye – sie hält zwei Champagner-Gläser – romantischer geht’s nichtJ Der Albaner erzählt uns, dass 150 Meter weiter oben, zwischen den Felsen weitere Quellen sind und, dass man ihnen verschiedene Heilwirkungen zuschreibt.
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Etwa eine halbe Stunde genießen wir das warme Nass und den Ausblich aus dem Becken auf die sich aus den Felsen in Auen ausbreitende Lengarnica .. einfach traumhaft!!!
Die Zeit verrinnt, bald wird es dunkel. Wir verlassen das Paradies und kurven zurück zum Schild (steht übrigens kurz nach Petran, einer Minisiedlung wo die Langenica in die Vjosa mündet), Nach Tepelene sind es noch 50 Kilometer – unentwegt entlang der zauberhaften Vjosa. Wieder wird wie wild fotografiert .. dass der Akku noch hältJ
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Noch bevor es dunkel wird sind wir da – ein quirliges Örtchen etwas ab vom Fluss, aber unsere Schutzengel haben Höheres mit uns vor. Wir finden, etwa einen Kilometer hinter Tepelene, genau am Ufer der Vjosa das Guest-House (Bujtina) LORD BYRON. Des Schriftstellers Name ist in der Gegend häufig anzutreffen – sogar ein Denkmal gibt es im Ort. Der Brite lebte einige Zeit in Tepelene am Hof Ali Pashas, dem Herrscher über weite Teile des osmanischen Albaniens und Griechenlands um 1810.
Unsere Gastgeber nehmen uns auf wie Familie. Sie vermieten mehrere kuschlige Zimmer. Aus dem Zimmer „fällt“ man direkt in den Pool und dazu betreiben sie ein kleines Lokal. Wir sind ausgehungert – und werden mit Leckereien und verköstigt. Gino ist Halbitaliener und leidenschaftliche Jäger. Ihre Eulentät bekommt Spaghetti con Tonno e capperi kredenzt – der Rabenprinz Wildschwein-Gulasch … Gaumenorgasmus alles beides … der Wein auch. Trotz Sprachbarierre gibt’s Spaß ohne Ende. Wir bringen uns gegenseitig zum Lachen und bekommen von Anila, der Gastgeberin am spätem Abend attestiert, dass wir mit Abstand die lustigsten und nettesten Gäste sind, die je hier waren. Wir fühlen uns geehrt – die Stimmung ist super ausgelassen.Trotzdem werden wir heute nicht alt – nachdem die Flasche Wein geleert ist, verabschieden wir uns und fallen in die weichen Kissen unseres Zimmers. All das Erlebte muss erst sacken …. Wir können trotz Müdigkeit noch lange nicht einschlafen … diskutieren bis Mittenacht .. wie gut aber unsere Schutzengel es mit uns gemeint haben, das erleben wir erst am nächsten Morgen.
Ein traumhafte Tag, ein magisches Land, herrlichste Natur .. und die Menschen … an Nettigkeit und Gastfreundschaft nicht zu überbieten. Danke, dass wir das erleben dürfen.
RETTET die VJOSA
Hier erfahrt Ihr mehr über den Fluss, seine Fauna, Flora, seine Einzigartigkeit und die Pläne Staustufen und Wasserkraftwerke zu Bauen. Viele Wissenschaftler, Menschen in Albanien und im Ausland, Organisationen und Gruppen engagieren sich stark für die Erhaltung dieses “Blauen Wunders”.
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